Interview mit Markus Maibach

«Der Verkehr lässt sich rein fachlich nicht vollständig erfassen»

Markus Maibach hat INFRAS fast 40 Jahre mitgeprägt: fachlich, thematisch und menschlich. Dabei hat er auch zeitliche Brücken gebaut: er dachte mit der INFRAS-Gründergeneration über die NEAT nach oder machte sich zuletzt Gedanken über den Verkehr im Jahr 2060. Nun geht er in Pension.


Markus Maibach: «Nur wer die verschiedenen Denkweisen verinnerlicht, kann die funktionalen, gesellschaftlichen, politischen, psychologischen Aspekte auffangen – gerade im Verkehr.» (Foto: Patrick Federi / Unsplash)
Markus Maibach: «Nur wer die verschiedenen Denkweisen verinnerlicht, kann die funktionalen, gesellschaftlichen, politischen, psychologischen Aspekte auffangen – gerade im Verkehr.» (Foto: Patrick Federi / Unsplash)

Markus Maibach hat sich nie wo anders als bei INFRAS beworben, wie er selbst sagt. Er schickte nach seinem Lizentiat 1985 eine Blindbewerbung – der Start für eine lange und vielseitige Karriere im Geschäftsfeld Verkehr. Zunächst absolvierte er einen Stage, ging danach auf Reisen und bekam dann 1986 eine Festanstellung. Später war er während vieler Jahre Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglied. Im Interview an seinem letzten Arbeitstag im Büro in Zürich teilt Markus seine Gedanken zu fast 40 Jahren INFRAS.

Markus, du räumst deinen Arbeitsplatz auf, hast die letzten Sitzungen. Ist das Gehen ein Müssen oder Dürfen?

Eigentlich ist es nichts von beidem. Es passt. Jetzt ist eine andere Generation am Drücker.

Was nimmst du aus deiner Zeit bei INFRAS mit?

Es gab natürlich immer wieder spannende fachliche Inhalte und Herausforderungen. Noch spannender fand ich aber eigentlich zunehmend die Menschen, mit denen ich zu tun hatte – weil sie eine emotionale Seite haben und sich verändern. Und was mir auch immer lag, war das Politische. Die Politik ist manchmal erratisch. Gerade da ragt auch der Verkehr als Tätigkeitsfeld heraus. Den Verkehr kannst du rein fachlich nicht erfassen. Es gibt sowohl eine rationale als auch eine emotionale und eine politische Dimension.

Kannst du ein Beispiel geben, was das für deine Arbeit bedeutet hat?

Du startest nach dem Studium mit einem grossen fachlichen Rucksack, du denkst fachlich und antwortest gleich mit kreativen Rezepten auf ein Problem. Aber dann merkst du: das setzt niemand um – da gibt es Leute, die denken anders, haben einen anderen Zugang oder ein anderes Interesse. Darum war mir der interdisziplinäre Ansatz auch immer wichtig. Nur wer die verschiedenen Denkweisen und Interessen verinnerlicht, kann die funktionalen, gesellschaftlichen, politischen, psychologischen Aspekte auffangen. Das gilt im Verkehrsbereich ganz besonders.

Und wie hat sich INFRAS im Lauf der Zeit verändert?

Am Anfang waren wir vor allem ein vorausdenkendes Forschungsbüro, haben Visionen und gute Ideen geliefert. Das war wichtig, um Themen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Und später merkten wir, dass wir das alles irgendwie zu Boden bringen müssen und dass hinter einem Thema noch viel mehr Aspekte zu berücksichtigen sind. Das Umsetzen ist deutlich anspruchsvoller und zäher als das Entwickeln von guten Ideen. In unseren Projekten ging es deshalb neben den fachlichen Studien auch immer stärker um Prozessberatungen, um moderative und politische Elemente. Das kam mir persönlich sehr entgegen. Und das ist übrigens immer noch unser Geschäftsmodell: Forschung und Aufbruchstimmung einerseits – aber andererseits auch das Runterbrechen und ein Beitrag dazu, wie sich etwas ganz konkret umsetzen lässt.

Ein Beispiel für Aufbruchstimmung und Runterbrechen war wohl auch die NEAT. Du warst damals ab Mitte der 1980er im Denkprozess dabei, warst etwa Co-Autor der massgebenden Zweckmässigkeitsprüfung.

Für mich war das ein Highlight und auch der Einstieg in ein Thema, an dem ich bis heute gearbeitet habe: die gesamte Alpentransitpolitik.

Die NEAT ist auch ein gutes Beispiel dafür, wieso ein Thema nicht isoliert angegangen werden kann: Es ging um die Verlagerungspolitik, die Finanzierung des Projekts und um europapolitische Fragen. Und sie zeigt auch beispielhaft, dass es politisch auch immer ein Momentum braucht, damit etwas zustande kommt.

Und für dich ist es persönlich sicher auch speziell – wenn du mit dem Zug durch so ein Bauwerk wie den Gotthard-Basistunnel fährst?

Eigentlich weniger. Wir waren da kleine Rädchen und trugen einen kleinen Teil zum Ganzen bei. Das war damals eine riesige Community, die daran gearbeitet hat. Das Spezielle und Schöne ist, dass du mit einigen dieser Menschen eine gemeinsame Geschichte hast. Diese Geschichten nehme ich mit.


Markus Maibach zu seinen Highlights: «Die Präsentation zum Projektabschluss verpufft rasch – aber das Menschliche bleibt». (Foto: INFRAS)
Markus Maibach zu seinen Highlights: «Die Präsentation zum Projektabschluss verpufft rasch – aber das Menschliche bleibt». (Foto: INFRAS)

Blicken wir auf die konkrete Arbeit im Lauf der Zeit. Wie hat sie sich denn gewandelt?

Die ganze Informationsverarbeitung und Digitalisierung haben natürlich schon viel verändert. Früher haben wir einen Bericht mit einer Kugelkopfmaschine in einem Mal von A bis Z geschrieben, ohne grosse Korrekturen und Kommentare. Daten sind enorm wichtiger geworden und das hat auch die analytischen Skills verändert.

Gewisse Sachen sind aber auch völlig konstant geblieben: Der Föderalismus, wie politische Entscheide in der Schweiz getroffen werden oder wie Städte vordenken und Agglomeration und ländliche Räume anders denken... Da musst du einfach deine Rolle kennen: Bin ich ein Vordenker, muss ich auch nicht frustriert sein, dass nicht alle sofort mitziehen. Die Politik hat schon immer zyklisch funktioniert – mal offener eingestellt, mal geschlossener. Die Stärke von INFRAS war da aber immer das systemische Denken – und zu wissen, welche Hebel wann relevant sind.

Kannst du Projekte nennen, die dir als Highlights geblieben sind?

Highlights waren jene Projekte, bei denen mit den Auftraggebern eine Art Dream-Team entstanden ist, und wo es auch auf der persönlichen Ebene gefunkt hat. Da habe ich gemerkt, dass wir gemeinsam etwas entwickeln wollen, dass auch eine Bereitschaft zum Out-of-the-Box-Denken da ist. Damit hat auch das Projektergebnis für mich einen grösseren und nachhaltigeren Wert.

Highlights beiseite: fast 40 Jahren bei derselben Arbeitgeberin – wurde es dir nie langweilig?

Nein, ich hatte nie das Gefühl, dass ich es gesehen habe. Ich durfte hier mit Leuten zusammenarbeiten, die meine Skills ergänzt und weiterentwickelt haben. Ich hatte in der Anfangszeit vor allem mit Sämi Mauch einen Chef und Mentor, der auf mich setzte und von dem ich sehr viel gelernt habe. Später konnte ich gewisse Dinge an andere weitergeben, wir haben neue Geschäftsfelder entwickelt. Und ich nehme Freundschaften mit, die über das Geschäftliche weit hinaus gehen.

Und was würdest du INFRAS jetzt zum Abschluss mitgeben wollen?

In unserem Geschäftsmodell nahm die Sozialkompetenz immer eine wichtige Rolle ein, wir sind Projekte immer ganzheitlich und vernetzt angegangen. Das funktioniert auch in Zukunft. Darum musst du auch immer wissen, wie ein Thema entstanden ist, wie es sich entwickelt und welche Interessen relevant sind. Ich bin zuversichtlich, dass auch die zukünftige INFRAS Generation dieses Denkmodell erfolgreich umsetzen kann.

Und du musst immer agil bleiben. Wann immer du denkst, du hättest die Weisheit mit dem Löffel gegessen – dann wird es schwierig.